Zur aktuellen Situation in der Geburtshilfe

(aktualisierte Fassung März 2021)

Frauen haben „während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge.”

SGB V, Art. 1, § 24d, Ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe

Im Folgenden geben wir eine Übersicht zur aktuellen Situation in der Geburtshilfe.

Schwangerschaftsvorsorge, Geburt und Wochenbettbetreuung

Schwangerschaftsvorsorge

Art und Umfang der Schwangerschaftsvorsorge sowie die Betreuung nach der Geburt im Wochenbett regeln das Hebammengesetz und die Berufsordnungen der Hebammen in den jeweiligen Bundesländern sowie die Mutterschaftsrichtlinien. Die Schwangere erhält von ihrer Hebamme oder der Gynäkologin den Mutterpass. Er dokumentiert den allgemeinen Gesundheitszustand sowie die Untersuchungen und Ergebnisse im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge.

Schwangere können folgende Vorsorgemodelle der Schwangerschaftsvorsorge wählen:

  • im Wechsel von einer freiberuflichen Hebamme und einem/ einer Gynäkolog:in 
  • ausschließlich durch eine freiberufliche Hebamme
  • ausschließlich durch einen/ eine Gynäkolog:in.

Welche Untersuchungen vorgesehen sind, darüber informiert die hervorragende Website familienplanung.de von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).

Wochenbett: Nachsorge durch die Hebamme

Im Wochenbett, das heißt in den Tagen und Wochen nach der Geburt, sieht die Hebamme anfangs in der Regel täglich, später alle paar Tage nach Mutter und Kind. Sie unterstützt beim Stillen und behandelt mögliche Geburtsverletzungen, wie eine Kaiserschnittnarbe oder die Dammnaht. Gleichzeitig beobachtet die Hebamme die körperliche Entwicklung des Neugeborenen. Probleme, etwa eine Gelbsucht beim Kind oder eine Wochenbett-Depression der Mutter, erkennt sie frühzeitig.

Ungefähr sechs bis acht Wochen nach der Geburt sehen die Mutterschaftsrichtlinien eine Untersuchung durch den/ die Gynäkolog:in vor.

Aktuelle Probleme in der ambulanten Versorgung

  • Obwohl die wechselseitige Vorsorge von Hebamme und Gynäkolog:in von Frauen gewünscht und per Gesetz möglich ist, lehnen manche ärztliche Praxen und selten auch Hebammen diese ab.
  • Leistungen, die von freiberuflichen Hebammen angeboten werden, werden immer knapper. Sowohl in ländlichen Gebieten, als auch in Großstädten wie Köln, Berlin oder München, besteht eine Unterversorgung. 
  • Je nach Region finden zwischen 10 und 50 Prozent der Schwangeren keine Hebamme für die Schwangerschaftsvorsorge und/ oder das Wochenbett. 
  • Ohne Hebamme im Wochenbett sind Frauen auf sich alleine gestellt. Probleme können nicht rechtzeitig erkannt werden (z. B. Stillschwierigkeiten, Wochenbettdepressionen, Neugeborenengelbsucht).
  • In manchen Städten/ Regionen gibt es Hebammenambulanzen. Eine häusliche Wochenbettbetreuung können sie aber nicht ersetzen.
  • Frauen ohne Hebamme suchen vermehrt Frauen- und Kinderärzte und die Notaufnahmen auf. Das bedeutet Stress und Infektionsrisiken für Mutter und Kind. 
  • Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnt bereits seit 2017 explizit, dass der Hebammenmangel die Gesundheit Neugeborener gefährdet. 

Geburten

“Auf dem Papier” haben Schwangere die freie Wahl des Geburtsortes. Das heißt eine Frau kann wählen, ob sie ihr Kind zu Hause, in einem Geburtshaus bzw. einer hebammengeleiteten Einrichtung oder in einer Klinik zur Welt bringen möchte. Die Kosten für die Geburt ist kassenärztliche Leistung.Ob eine Geburt außerhalb einer Klinik möglich ist und von der Krankenkasse der Frau bezahlt wird, regeln bestimmte Kriterien, nach denen sich die Hebamme richten muss.

Geburt in einer Klinik

In Deutschland kommen 98 % der Kinder im Krankenhaus zur Welt. Schwangere haben die Wahl zwischen vier Versorgungsstufen. 

Nach einer komplikationslosen Schwangerschaft, das sind rund 90 Prozent aller Schwangeren, kommt für die Geburt eine normale Geburtsklinik ohne eigene Kinderstation in Frage (Versorgungsstufe 4). 

Kliniken mit einem perinatalen Schwerpunkt (Versorgungsstufe 3) sind für “späte Frühchen” mit einem geschätzten Geburtsgewicht von mindestens 1500 Gramm oder ab der Schwangerschaftswoche 32 vorgesehen.

Für Schwangere mit erwarteten Frühgeborenen ab einem geschätzten Geburtsgewicht von 1250 bis 1499 Gramm oder ab der Schwangerschaftswoche 29 sind Perinatalzentren Level 2 vorgesehen. Hier können auch Schwangere mit Risikofaktoren (z. B. dem HELLP-Syndrom) gebären. Für Frühgeborene und kranke Neugeborene gibt es eine Intensivstation für Früh- und Neugeborene.

In Perinatalzentren Level 1 erhalten extreme Frühgeborene mit einem geschätzten Geburtsgewicht unter 1250 Gramm oder vor der Schwangerschaftswoche 29 sowie schwerkranke Neugeborene maximale Versorgung.

Aktuelle Probleme in der klinischen Geburtshilfe

  • In vielen Kliniken herrscht Personalmangel. Dieser betrifft sowohl Hebammen, als auch ärztliche Fachkräfte (IGES-Gutachten “Stationäre Hebammenversorgung”, für das Bundesgesundheitsministerium, September 2019, S. 42 f.)
  • Fast 80 % der Geburtsstationen haben Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen.
  • Aufgrund der knappen Personalbesetzung kommt es an Tagen mit vielen Geburten zu einer Überlastung vieler Geburtsstationen oder zu Schließungen von Schichten oder mehreren Tagen.
  • Viele geburtshilfliche Stationen schließen aus Personalmangel und/ oder aus wirtschaftlichen Gründen ganz. Dazu zählen die hohen Haftpflichtbeiträge für Hebammen, Ärzteschaft und Kliniken mit Geburtsstationen bei gleichzeitig geringer kassenseitiger Vergütung interventionsfreier Geburten.
  • Verantwortlich ist das System der Krankenhausfinanzierung (DRG-Vergütungssystem). Geburtshilfe ist personalintensiv und nicht planbar. Die Vorhaltekosten sind hoch, werden aber im DRG-System nicht abgebildet.
  • Geburtshilfe zählt in Deutschland nicht zur medizinischen Grundversorgung.
  • Mehr als die Hälfte der im Kreißsaal tätigen Hebammen betreuen häufig drei oder mehr Frauen parallel.
  • Der gestiegene bürokratische Aufwand (Dokumentation des Geburtsverlaufs etc.) nimmt zusätzlich Zeit in Anspruch, ebenso fachfremde Aufgaben wie die Reinigung des Kreißsaales.
  • Im Rahmen der laufenden Krankenhausstrukturreformen, wegen Personalmangels und/ oder weil sie nicht wirtschaftlich arbeiten können, schließen viele Kreißsäle. Vielfach passiert dies kurzfristig und ohne Absprache mit den verbleibenden Kliniken – die ihre Kapazitäten nicht so schnell anpassen können. 
  • Die tatsächlichen Bedarfe und Bedürfnisse von Familien, so wie es u. a. im Nationalen Gesundheitsziel “Gesundheit rund um die Geburt” gefordert wird, finden in der Krankenhausplanung der Bundesländer sowie in der Bewertung der geburtshilflichen Situation keine Berücksichtigung.

Auswirkungen auf die Familien

Frauen wünschen sich eine kontinuierliche Eins-zu-Eins-Geburtsbegleitung. Sie bietet zudem für Mutter und Kind größtmögliche Sicherheit (S3-Leitlinie “Die vaginale Geburt am Termin”, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) und Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi), Januar 2021.).

Kliniken können eine Eins-zu-Eins-Begleitung jedoch nicht flächendeckend und zu jeder Zeit gewährleisten.

Vor allem in den von Familien besonders stark nachgefragten Kliniken mit Kinder-Intensivstation, den sog. Level-1-Perinatalzentren, begleitet nur etwa ein Drittel der Hebammen eine Geburt so, wie es laut Experten am sichersten wäre: mit einem kontinuierlichen Betreuungsschlüssel Eins-zu-Eins, das heißt eine Hebamme pro Frau während des gesamten Geburtszeitraums. Mehr als jede vierte Frau muss sich dort eine Hebamme sogar mit drei oder mehr Gebärenden teilen.

  • Ganz oder teilweise Kreißsaalschließungen passieren kurzfristig. Familien müssen sich auf eine neue Geburtsumgebung und längere Anfahrtswege einstellen. Die freie Wahl des Geburtsortes (freie Wahl der Geburtsklinik) ist eingeschränkt.
  • Schwangere müssen in ländlichen Gebieten mit Fahrtzeiten von bis zu 60 Minuten, je nach Witterungsverhältnisse auch mehr, zum nächsten Kreißsaal rechnen. Diese langen Fahrtzeiten werden in Simulationen (z. B. dem GKV-Kliniksimulator) nicht abgebildet. Entscheider:innen aus Politik und Klinikverwaltung berufen sich bei Schließungen auf diese Simulationen und sehen kein Problem.
  • Schwangere mit Geburtswehen werden an der Kreißsaaltür abgewiesen oder müssen in andere Kliniken mit freien Kapazitäten verlegt werden.
  • Unzureichende Betreuung bereits mit Geburtsbeginn und im weiteren Verlauf gefährdet Mutter und Kind. 
  • Unnötiger Stress wirkt sich negativ auf die Geburtsarbeit aus. 
  • Komplikationen werden erst spät erkannt.
  • Gebärende benötigen mehr Medikamente, zum Beispiel Schmerzmittel und Wehenmittel, und mehr medizinische Eingriffe, wie das Kristellern, die Saugglocke oder einen Kaiserschnitt.
  • Unzureichende Geburtsbetreuung kann dafür verantwortlich sein, die Geburt als belastend oder sogar traumatisch zu empfinden, mit Folgen für die gesamte Familie (Bindungsschwierigkeiten zum Kind, Stillprobleme, Schreibaby-Syndrom).
  • Für die achtsame Begleitung von besonderen Geburten, wie z. B. Früh- oder Totgeburten, fehlt die Zeit.

Garantierte Eins-zu-Eins-Betreuung

Möchten Schwangere für die Geburt ihres Kindes eine garantierte Eins-zu-Eins-Begleitung, gibt es drei Möglichkeiten: eine Begleit-Beleggeburt in einer Klinik oder außerklinisch eine Geburt im Geburtshaus bzw. zu Hause.

Als vierte Möglichkeit der garantierten Eins-zu-Eins-Betreuung ließe sich noch die Geburt in einem sog. Hebammenkreißsaal innerhalb der Klinik hinzunehmen. Jedoch ist deren Anzahl von rund 20 Stück aktuell (2021) derart gering, dass dieser Geburtsort für die allermeisten Familien gar nicht in Frage kommt. Die Politik hat diese Form der Geburtsbegleitung allerdings “für sich” entdeckt. In einigen Bundesländern wird der Hebammenkreißsaal gefördert (Sachsen-Anhalt, NRW). Die Entwicklung der nächsten Jahre bleibt also abzuwarten.

Im Gegensatz zu einer Begleit-Beleggeburt, einer Geburt im Geburtshaus oder zu Hause besteht im Hebammenkreißsaal zwar eine Eins-zu-Eins-Betreuung, jedoch kann das Personal bei Schichtende wechseln.

Begleit-Beleggeburt

Begleit-Beleggeburten werden von Begleit-Beleghebammen angeboten. Das sind freiberufliche Hebammen, die die Gebärende in die Klinik begleiten. Sie arbeiten selbstständig. Die Kosten ihrer Haftpflicht-, Sozial- und Rentenversicherung tragen sie selbst. Begleit-Beleghebammen haben einen Belegvertrag mit einer klinischen Geburtsstation.

Gebärende und ihrer Begleit-Beleghebamme steht die Infrastruktur der Klinik zur Verfügung (dazu gehört das Personal wie Fachärzt:innen, Anästhesist:innen und Neonatolog:innen genauso wie Medikamente und Material).

Frauen mit einer Begleit-Beleghebamme werden von dieser bereits sehr intensiv in der Schwangerschaft begleitet. Während dieser oft monatelangen Betreuungszeit kann sich eine Beziehung zwischen der Frau und ihrer Hebamme entwickeln: Die Hebamme kennt die Bedürfnisse sowie die Persönlichkeit der Frau, was optimale Voraussetzungen für eine gute Geburtsbegleitung setzt.

Um den voraussichtlichen Geburtstermin herum befindet sich die Begleit-Hebamme in Rufbereitschaft. Sobald die Geburt beginnt, z.B. die Wehen einsetzen oder die Fruchtblase springt, ruft die Frau ihre Hebamme an. Meist kommt diese zuerst zur Frau nach Hause und begleitet sie und ihre/n Geburtspartner:in anschließend zu einem angemessenen Zeitpunkt in die Klinik. 

Die Begleit-Beleghebamme betreut die Geburt lückenlos und leistet keine anderen Dienste im Kreißsaal. Auch im Falle eines Kaiserschnittes bleibt die Hebamme bei der Frau. Nach der Geburt nimmt sie die U1-Untersuchung des Neugeborenen vor. 

Die Hebamme verlässt die Frau in der Regel erst nach der Entlassung aus dem Kreißsaal (entweder nach der Verlegung auf die Wöchnerinnenstation oder im Falle einer ambulanten Geburt nach der Entlassung nach Hause).

Nach der Geburt lassen sich Frauen meist auch im Wochenbett von ihrer Begleit-Beleghebamme versorgen.

Außerklinische Geburtshilfe

In Deutschland gilt die freie Wahl des Geburtsortes, das heißt Schwangere können sowohl in einer Klinik als auch außerklinisch in einem Geburtshaus oder zu Hause gebären. Die Kosten für die Geburt werden von der Krankenkasse übernommen. Das ist in § 24 f des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgeschrieben.

Auch wenn es für Familien seit Jahren immer schwieriger wird, eine Hebamme für eine Hausgeburt oder die Geburt in einem Geburtshaus zu finden, gibt es nach wie vor Hebammen, die außerklinische Geburtshilfe anbieten. Die freie Wahl des Geburtsortes ist zwar extrem eingeschränkt, besteht aber faktisch noch! 

Zahlen, wie viele Schwangere sich eine Geburt außerhalb einer Klinik wünschen, gibt es nicht. Die sehr hohe Rate von rund 98 % Klinikgeburten ist allerdings – entgegen mancher Behauptung – kein Hinweis darauf, dass sich Schwangere eine außerklinische Geburt nicht wünschen. Vielmehr dürfte die mangelhafte Aufklärung (bereits in der Schule), die fehlende Tradition und Vorbilder sowie letztendlich die unzureichende Infrastruktur (Hebammenmangel und wenig Geburtshäuser) zu der hohen Anzahl an Klinikgeburten führen.

So wie eine Hausgeburt, ist auch eine Geburtshausgeburt in Deutschland sicher für Mutter und Kind.

Hausgeburt

Im Jahr 2019 haben mehr Frauen ihr Kind zu Hause geboren, als in den Jahren zuvor (fast 6300 im Vergleich zu 6071 im Jahr 2018) Die Anzahl der freiberuflichen Hebammen mit Hausgeburtshilfe ist seit 2016 ebenfalls leicht gestiegen.

Die Nachfrage nach Hausgeburten ist ungebrochen.

Geburt im Geburtshaus

Die Anzahl hebammengeleiteter Geburtseinrichtungen (“Geburtshäuser”) ist seit dem Jahr 2016 deutlich zurückgegangen.

Für das Jahr 2019 rechnet das Netzwerk der Geburtshäuser wieder mit einem leichten Anstieg. Dennoch kann das Angebot der großen Nachfrage bei weitem nicht gerecht werden. 

Die Nachfrage nach Geburten im Geburtshaus ist ebenfalls gleichbleibend hoch.

Aktuelle Probleme in der außerklinischen Geburtshilfe

Das Angebot der garantierten Eins-zu-Eins-Betreuung durch freiberufliche Hebammen ist rar. Viele Hebammen bieten diese Betreuungsform nicht mehr an. Die Vergütung ist im Verhältnis zu der enormen Verantwortung und dem Arbeitsaufwand zu gering.

Schwangere müssen sich schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft um einen Platz bei einer Hebamme kümmern, die als freiberufliche Hebamme Geburtsbegleitung zu Hause, im Geburtshaus oder als Begleit-Beleghebamme in einer Klinik anbietet.

Trotz einer seit dem Jahr 2015 wieder steigenden Anzahl von Hebammen mit Hausgeburtshilfe finden viele Frauen mit Wunsch nach einer Geburt in den eigenen vier Wänden keine Hebamme. Die Nachfrage übersteigt bei weitem das Angebot.