Stellungnahme

Netzwerk der Elterninitiativen fordert Reform der Geburtskultur

Das Netzwerk der Elterninitiativen für Geburtskultur fordert eine Reform der Geburtskultur. An dieser Reform wollen wir als Eltern maßgeblich beteiligt sein.

Unsere Gesellschaft ist existenziell darauf angewiesen, dass Kinder gezeugt, geboren und im Aufwachsen begleitet werden. Eltern übernehmen für die nächste Generation eine gesellschaftlich herausragende Aufgabe, die Anerkennung und Schutz braucht und verdient – es geht hierbei um die Rechte von Eltern und die Rechte von Kindern. Gerade auch den werdenden Müttern muss Aufmerksamkeit und Fürsorge gelten, denn lange vor der Geburt ist das Kind abhängig von den Bedingungen, unter denen die Mutter lebt.

Aktuelle Situation

Wir stellen mit großer Sorge fest, dass die Rahmenbedingungen in der Geburtshilfe und Geburtsmedizin zu erheblichen Fehlentwicklungen der Geburtskultur insgesamt geführt haben.

Diese Entwicklungen gefährden die seelische und körperliche Gesundheit hunderttausender Mütter, Kinder und Familien.

Mit den Sorgen werdender Eltern um ihr Ungeborenes werden Milliardenbeträge erwirtschaftet. Die Grenzen zwischen sinnvoller Vorsorge und Gesundheitsmarkt sind für Eltern meist nicht durchschaubar. 99% der Schwangeren nehmen Testangebote außerhalb der Mutterschaftsrichtlinien in Anspruch (Kolip, Schäfers 2015).

Durch die Technisierung der Schwangerenbegleitung entsteht eine zunehmende Entfremdung von den natürlichen Prozessen in Schwangerschaft und Geburt. Diese bereitet den Boden für Angst und Unsicherheit und damit für weitere Kontrolluntersuchungen.

Werdende und junge Eltern benennen in der Rückschau von Schwangerschaft und Geburt schrittweise diese Verunsicherung und Ängstigung.

Obwohl 70-80% der Schwangeren bei Geburtsbeginn laut WHO als gesund einzustufen sind, erleben in Deutschland nur noch 6,7% der Gebärenden eine Geburt ohne medizinische Eingriffe (Schwarz 2008). Kaiserschnitte bei 31,8% der Geburten (Destatis 2015) und 6,6% bzw. 45 345 frühgeborene Kinder (Destatis 2013), eine der höchsten Zahlen im europäischen Vergleich, sind aus Sicht der Elterninitiativen nicht länger zu akzeptieren.

Durch Tests, Klinikroutine, Medikamente und Technikeinsatz erleben Eltern auch unter der Geburt häufig Entmündigung und Angst um ihr Kind.

Immer mehr Frauen trauen sich, Alleingelassensein, Einschüchterung, Entscheidungsdruck und sogar physische und psychische Gewalt im Kreißsaal zu benennen. Für nicht wenige Frauen werden diese interventionsreichen Geburten oder der Kaiserschnitt zum traumatischen Erlebnis mit weitreichenden Folgeproblemen für sich selbst, das Kind, den Partner und die gesamte Familie (vgl. Oblasser 2008; Mundlos 2015).

Eine weitere Fehlentwicklung ist die Bedrohung des Berufsstandes der Hebammen. Durch ungelöste Arbeits und Versicherungsbedingungen ist die wirtschaftliche Existenz vieler freiberuflicher Hebammen nachhaltig gefährdet.

Hebammen werden zur Aufgabe ihrer Tätigkeit gezwungen, was bereits jetzt zu einer spürbaren Unterversorgung mit Hebammenleistungen in vielen Regionen und Städten führt (Albrecht et al. 2012). Das Menschenrecht der Mutter, den Geburtsort ihres Kindes frei zu wählen, ist in vielen Regionen Deutschlands aktuell nicht mehr gegeben.

Eltern wollen die anhaltende Verschlechterung der psychosozialen und gesundheitlichen Rahmenbedingungen bei der Erwartung und Geburt eines Kindes nicht länger hinnehmen. Vor diesem Hintergrund fordern sie eine grundlegende Reform der geburtshilflichen Rahmenbedingungen. Eltern fordern ein Mandat, um bei der Gestaltung der sie betreffenden, geburtskulturellen Rahmenbedingungen in Schwangerschaft, Geburtshilfe/-medizin, Wochenbett und Stillzeit mitwirken zu können. Sie sind willens mitzuarbeiten, um strukturelle Fehlentwicklungen zu korrigieren. Sie stützen sich dabei auf die 1985 von der WHO verabschiedeten Empfehlungen.

Unsere Forderungen

1. Eltern fordern Transparenz zur Unterscheidung zwischen einer Vorsorge, die an den individuellen Bedürfnissen orientiert ist und den Interessen eines wirtschaftsorientierten Gesundheitsmarktes.

Außerdem fordern sie ein Informationsgebot über die gleichberechtigte Vorsorgemöglichkeit durch Hebammen.

2. Sie fordern, dass auch im klinischen Umfeld der Individualität und Selbstbestimmung der Gebärenden Rechnung getragen wird. Eltern treten für die Förderung der physiologischen Geburt und konkrete Maßnahmen zur Senkung der Kaiserschnittrate ein. Die Abschaffung invasiver Routinemaßnahmen und die konsequente Eins-zu-Eins-Betreuung jeder Gebärenden durch eine Hebamme sind zentrale Forderungen zur Verbesserung der klinischen Geburtshilfe.

3. Eltern fordern die stärkende Begleitung durch freiberuflich und geburtshilflich tätige Hebammen in allen Phase des Elternwerdens.

4. Sie fordern, dass neben der Hausgeburtshilfe die von Hebammen aufgebauten und am Bedarf von Eltern orientierten Strukturen zur Geburtshilfe, wie Geburtshäuser, Hebammenkreißsäle, Hebammenpraxen, ausgebaut, finanziell abgesichert und angemessen vergütet werden.

5. Eltern fordern die gesellschaftliche Anerkennung einer notwendigen Unterstützungvon Frauen/ Paaren in der Familiengründungsphase. Eine psychosoziale Unterstützung durch familiennahe Dienstleistungen vor, während und nach der Geburt ist unerlässlich. Die Notwendigkeit besteht, weil insbesondere in Städten nur noch selten eine familiäre Flankierung möglich ist und bei der Begleitung und Versorgung junger Mütter eine Lücke klafft.

6. Eltern sehen eine staatliche Mitverantwortung zur Regelung wohnortnaher Versorgung.

Das Netzwerk der Elterninitiativen für Geburtskultur setzt sich für die Umsetzung der oben genannten Forderungen ein. Die Unterzeichnenden schließen sich den Forderungen an.

Erstunterzeichnende Elternvereine und -initiativen

Elternstimme sichere Geburt; Eltern für Hebammen Gifhorn; Förderverein normale Geburt e.V.; Geborgen geboren e.V.; Geburt e.V.; GreenBirth e.V.; HappyBirthday – Gemeinsam für eine selbstbestimmte Geburtskultur e.V.; happybirth e.V.; Initiative gerechte Geburtshilfe in Deutschland; Kölner Geburtstag; Mother Hood e.V.; Sanfte Geburt e.V.; Verein vorgeburtliche Erziehung e.V.;

Erstunterzeichnende Vereine, Unterstützerinnen und Unterstützer

Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen e.V.; Deutscher Berufsverband für Wochenbettbegleitung e.V.; Deutscher Fachverband für Hausgeburtshilfe e.V.; Doulas in Deutschland e.V.; Ehe-, Familien, und Lebensberatungsstelle des Diakonischen Werks Hildesheim; Einfach Eltern®; „Erzählcafes“, initiativenübergreifende Aktion; Familienzentrum Esslingen; Flow Birthing; Frauenzentrum und Verein Hilfe für Mädchen und Frauen, Alzey; Gesellschaft für Geburtsvorbereitung, Familienbildung und Frauengesundheit e.V.; geburtshaus bewusste geburt & elternschaft e.v., Erfurt; Geburtshaus Mayenrain; Geburtshaus Wuppertal; Geburtshaus und mehr e.V. Jena; Hebammen für Deutschland e.V.; Internationale Gesellschaft für Prä- und Perinatale Psychologie und Medizin e.V.; Kaiserschnittstelle, Hannover; kidsgo, Mütterzentrum am Hart, München; Nachbarschaftstreff Ingolstädter Str., München; Netzwerk der Geburtshäuser e.V./HgE; Schule für Mütterpflege und FamilienLotSinnen®; Schwangeren und Schwangerschaftskonfliktberatung des Diakonischen Werks Hildesheim; Studierendenrat der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Verein für Mütter- und Familienpflege e.V.; Wildnisschule Waldkauz, Geburt und Leben e.V.

Ansprechpartnerin

Katharina Desery
Vorstand und Pressesprecherin
Tel.: 0163/ 7274735
E-Mail: presse(at)mother-hood.de