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Stellungnahme des Betroffenenrats zum neuen Rahmenvertrag zwischen Hebammen und gesetzlichen Krankenversicherungen

Die freie Wahl des Geburtsortes muss für alle Frauen erhalten bleiben! Wie wichtig dieses Recht gerade für Frauen ist, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, erklärt der Betroffenenrat in einer aktuellen Stellungnahme.

Hebammenverband und ­­Versicherungs­wirtschaft geben bekannt, dass die Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen ab Juli 2016 für weitere zwei Jahre gesichert ist. Damit einher geht eine drastische Prämienerhöhung.

Die freie Wahl des Geburtsortes muss für alle Frauen erhalten bleiben! Wie wichtig dieses Recht gerade für Frauen ist, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, erklärt in einer aktuellen Stellungnahme der Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. 

Der Betroffenenrat ist ein politisches Gremium, das sich im März 2015 konstituiert hat. Die 15 Mitglieder haben alle selbst sexualisierte Gewalt in den unterschiedlichsten Kontexten erlebt und arbeiten seit Jahren  beruflich und/oder ehrenamtlich zu diesem Thema. Der Schwerpunkt liegt in der politischen Arbeit: die Belange möglichst vieler Betroffener sollen auf Bundesebene Gehör finden und öffentlich gemacht werden.

Dr. Katharina Hartmann, Vorstand Mother Hood, gibt eine Einschätzung dieser Entwicklung:

„Freie Wahl des Geburtsortes, Abschaffung der Zwangsuntersuchung, Stärkung der Frauenrechte rund um die Geburt und eine Stärkung des Hebammenberufs. Diese Forderungen des Betroffenenrats vertritt auch Mother Hood. Daher begrüßen wir die Stellungnahme und freuen uns über die klaren Worte des Betroffenenrates.“

Vollständiger Wortlaut der Stellungnahme

Stellungnahme des Betroffenenrats zum neuen Rahmenvertrag zwischen Hebammen und gesetzlichen Krankenversicherungen

„Der Ende September ergangene und seit Mitte November in Kraft getretene Beschluss der Schiedsstelle bezüglich der künftigen Versorgung Schwangerer durch Hebammen greift entscheidend in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zur Wahl des Geburtsorts ein.

Für Frauen, die in ihrer Kindheit sexualisierte Gewalt erfahren haben, stellen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett eine besondere Herausforderung dar. Zentral für die Gesundheit von Mutter und Kind ist unter anderem ein möglichst hohes Maß an Kontrolle und Selbstbestimmung sowie damit ausreichende und richtige Informationen darüber, welche ärztlichen Untersuchungen unbedingt nötig sind und welche beispielsweise auch durch eine Hebamme des Vertrauens geleistet werden können. Eine Geburt im Krankenhaus mit dem Fokus auf medizinischen Interventionen und der oftmals wechselnden Betreuung kann mit einem starken Kontrollverlusterleben einhergehen. Eine Alternative kann eine Hausgeburt mit einer vertrauten Hebamme sein.

Immer wieder wird Frauen, die sich für eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus entscheiden, vorgeworfen, nicht im Sinne des Kindes zu entscheiden. Es gibt jedoch keine wissenschaftlich fundierten Belege dafür, dass eine Geburt im Krankenhaus sicherer ist. Für Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, birgt allein das Krankenhausumfeld mit scheinbaren Routineeingriffen (…) ein Retraumatisierungsrisiko. Eine Retraumatisierung stellt dabei nicht nur eine enorme Gesundheitsgefährdung mit langfristigen psychischen Folgen für die werdende Mutter dar. Ebenso besteht für das Kind ein nicht unerhebliches Risiko (…) sowie auch und insbesondere für die Bindung zwischen Mutter und Kind nach der Geburt.

Unter anderem schreibt der ergangene Schiedsspruch ab einer Überschreitung des Entbindungstermins um drei Tage zwingend eine fachärztliche Untersuchung vor, in deren Rahmen die Fachärztin/der Facharzt bestätigen muss, dass eine Hausgeburt unbedenklich ist. Hierdurch wird die Fachkompetenz der Hebammen in Frage gestellt. Schwangere Frauen werden verunsichert, zu einer ärztlichen Untersuchung gezwungen und somit in ihren Selbstbestimmungs- und Patientinnenrechten beschnitten. Wie Fachärzt_innen aus haftungsrechtlicher Sicht mit diesen Neuerungen umgehen werden, ist noch unklar. Liegt die Bescheinigung nicht vor, behalten sich die gesetzlichen Kassen vor, die Hebammenleistung einer Hausgeburt nicht zu bezahlen oder die betreffende Hebamme sogar von der Teilnahme am Kassensystem auszuschließen.

Der Betroffenenrat fordert Wahlfreiheit für alle Frauen bezüglich des Geburtsorts sowie die Sicherung und Finanzierung der freiberuflichen Hebammenbetreuung. Darüber hinaus ist die Forschungslage zu den Ausschlusskriterien sowie explizit zur Situation traumatisierter Frauen in der Geburtshilfe in Deutschland unzureichend und muss dringend verbessert werden. Frauen müssen über ihre Rechte und Möglichkeiten sowie die Notwendigkeit medizinischer Untersuchungen besser aufgeklärt werden. Fachärzt_innen, medizinisches Personal und Hebammen müssen bessere Fortbildungsmöglichkeiten erhalten und für die besondere Situation Überlebender sexualisierter Gewalt sensibilisiert werden.“

Quelle: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs